Zielgruppenspezifische, verhaltenswissenschaftliche Massnahmen zur Förderung der öV-Nutzung in der Schweiz

Was sind die Anreize und Barrieren, welche autofahrende Familien zu einer vermehrten öV-Nutzung motivieren könnten, oder zurzeit von einer solchen abhalten?

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Hintergrund

Die Perspektive BAHN 2050 des Bundesamtes für Verkehr (BAV) möchte den öffentlichen Verkehr in der Schweiz stärken und somit einen Beitrag zur langfristigen Klimastrategie 2050 leisten. Während klassische Massnahmen auf einen Ausbau der Infrastruktur und «rationale» Faktoren wie z.B. Qualität und Zuverlässigkeit des Angebots, Fahrzeit, Umsteigezeiten fokussieren, bleiben subjektive Motive der Reisenden oftmals im Hintergrund. Würden zusätzlich zum Ausbau der Infrastruktur Begleitmassnahmen initiiert, die diese Motive berücksichtigen, steigt das Potential Personen zum Umstieg auf den öV zu bewegen. 

Ziel

Im Sinne eines Pilotprojektes werden Online-Interviews mit Personen aus einer spezifischen Zielgruppe geführt. Basierend auf den Erkenntnissen aus diesen Interviews werden Begleitmassnahmen abgeleitet, welche die öV-Nutzung der Zielgruppe erhöhen sollen und somit einen Beitrag zur Stärkung des öV in der Schweiz leisten können.   

Vorgehen

Schritt 1: Welches sind die relevantesten Zielgruppen? 

Um die relevantesten Zielgruppen zu identifizieren, wurde auf Basis des Datensatzes “Mikrozensus Mobilität und Verkehr” eine Clusteranalyse gerechnet. Dabei wurden nur Agglomerationen einbezogen, die gut oder sehr gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln erschlossen sind. In Abstimmung mit dem BAV wurde das Cluster “Familien mit mindestens einem Kind und einem Auto” als besonders relevante Zielgruppe definiert, da diese Zielgruppe trotz sehr gutem Anschluss an den öV oftmals mit dem Auto unterwegs ist.  

Schritt 2: Was sind die relevanten Anreize und Barrieren der Zielgruppen bei der Mobilitätswahl? 

Um herauszufinden, welche (psychologischen) Anreize und Barrieren zu einer vermehrten öV-Nutzung motivieren könnten, oder zurzeit von einer solchen abhalten, wurden 27 Online-Interviews mit Eltern aus der Zielgruppe durchgeführt. 

Schritt 3: Was sind die vielversprechendsten Massnahmen, um die öV-Nutzung der Zielgruppen zu fördern? 

Basierend auf den Erkenntnissen aus Schritt 2 wurden Massnahmen zur Förderung der öV-Nutzung bei der Zielgruppe abgeleitet.  

Laufzeit

09.2021 - 02.2022

Resultate

Basierend auf Interviews mit Familienvätern und -müttern gelangten wir zu den folgenden 7 Erkenntnissen zur Zielgruppe: 

  1. Ein Verzicht aufs Auto ist illusorisch. Denkbar sind Tagesausflüge als positive erste öV-Erlebnisse. 

  1. Die Praktikabilität ist zentral, die kurzfristigen Kosten (z.B. für das Parkieren oder das Billett) sind mitentscheidend. 

  1. Sogar versessene Autofahrende nehmen für ihre Kinder ab und zu den öV. 

  1. Die Motive «Umweltschutz» und «Schutz zukünftiger Generationen» sind vernachlässigbar, Freiheit und Bequemlichkeit werden höher gewertet. 

  1. Der Erwerb des Führerausweises gehört zum Erwachsenwerden (noch) dazu. 

  1. Die Förderung der Nebenverkehrszeiten muss von den Arbeitgebenden angestossen werden. 

  1. Die Bahn ist sehr beliebt, Bus und Tram jedoch eher weniger – der Weg zur Bahn ist somit eine grosse Hürde. 

Basierend auf diesen 7 Erkenntnissen lassen sich verschiedene Begleitmassnahmen ableiten. Als besonders vielversprechend scheint dabei die Förderung der Nutzung des öV von und mit Kindern zu sein. Kinder sind oftmals begeistert von Reisen mit dem öV – vor allem mit der Bahn. Wenn gezielt an dieser Begeisterung angesetzt wird, kann eine Mobilitätsgewohnheit zugunsten des öV aufgebaut werden, welche hoffentlich auch im Erwachsenenalter bestehen bleibt. 

Partner

Die Studie wurde in Zusammenarbeit mit Gilles Chatelain von The Behavior Lab (ehemals Verhaltensarchitektur) durchgeführt.  

Die Studie wurde im Auftrag des Bundesamtes für Verkehr durchgeführt.  

Links

Vorstellung des Projektes auf der Webseite des Bundesamts für Verkehr (BAV) im Rahmen der Perspektive BAHN 2050.  

Der Schlussbericht kann hier eingesehen werden.

Kontakt

Prof. Dr. Claude Messner 

Geraldine Holenweger